... mehr zu Fütter- und Essverhaltensstörungen

 
Essen und Trinken – das Normalste auf der Welt? Nicht unbedingt.
Viele Familien stellen fest, dass aus einer vermeintlich banalen Alltäglichkeit schnell eine Herausforderung werden kann. Babys und (Klein-)Kinder verweigern Nahrung komplett oder sind extrem eingeschränkt in dem was sie zu sich nehmen wollen. Nicht selten zeigt das Umfeld nicht das gebotene Einfühlungsvermögen und trägt so nicht zur Entspannung der Situation bei. Denn Konflikte beim Essen belasten das gesamte familiäre System. Die Vorstellung der Eltern, das eigene Kind ausreichend und ausgewogen zu ernähren steht dem gegenüber, dass Kinder schon im Säuglingsalter (hier unbewusst) nach Selbstbestimmung beim Essen bzw. Trinken streben. Schnell kann sich ein Teufelskreis entwickeln, der die Nahrungsaufnahme zum Problem macht.
 
Fütter- und Essverhaltensstörungen kommen häufig als Begleiterscheinung von diversen Grunderkrankungen vor. Die Kinder sind durch die eigentliche Erkrankung geschwächt, somit wird die Nahrungsaufnahme für das Kind anstrengend. Eine ausreichende und ausgewogene Ernährung ist jedoch lebensnotwendig und eine Minderernährung begünstigt das Fortschreiten der Grunderkrankung oder verhindert die rasche Genesung – schnell geraten Eltern und Bezugspersonen in Bedrängnis. Der Beginn dieser Problematik ist in jedem Alter möglich.

Auch ohne akute organische Grunderkrankung kann es zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme kommen. Dies betrifft Kinder, die beispielsweise nur eine bestimmte Art oder Form von Nahrungsmitteln tolerieren, obwohl sie in der Lage wären altersentsprechende Normalkost zu sich zu nehmen. Betroffene Kinder zeigen sich extrem wählerisch was Geschmack, Konsistenz, Geruch oder sogar Farbe der Lebensmittel anbelangt. In Extremfällen werden nur noch 5-7 unterschiedliche Nahrungsmittel akzeptiert.
Detailliert unterscheidet man Fütter-/Essverhaltensstörungen ohne organische Grunderkrankung wie folgt:
-  im Rahmen generalisierter Regulationsstörungen (Beginn zwischen dem 1. und dem 3. Lebensmonat, fehlender Schlaf-Wachrhythmus, kein Fütterrhythmus, häufig Gedeihstörungen, Probleme beim Einschlafen, Kinder schreien viel)
- mit beeinträchtigter Eltern-Kind-Interaktion bzw. -Reziprozität (Beginn meist zwischen dem 2. Und 8. Lebensmonat, wenig Wechselseitigkeit zwischen Bezugsperson und Kind, häufig Gedeihstörungen)
- als sogenannte restriktive Essstörung (Beginn meist zwischen dem 9. Lebenmonat und dem 3. Lebensjahr, Nahrungsverweigerung infolge mangelnden Interesses am Essen, verringertes Hungergefühl, dafür gesteigertes Interesse an der Umwelt, häufig regelrechte Machtkämpfe beim Essen)
- hoch selektives Essverhalten (Beginn häufig bei der Einführung neuer Nahrungsmittel, die Lebensmittel werden aufgrund von Aussehen, Geschmack, Geruch oder Konsistenz abgelehnt, Überempfindlichkeit des Kindes, häufig sind allgemein eher ängstliche Kinder betroffen)
- Nahrungsverweigerung nach aversiver Erfahrung (posttraumatisch beispielsweise nach Sondenernährung, maschineller Beatmung, nach traumatisierendem Verschlucken, kann jederzeit auftreten, Kinder zeigen Ablehnung bis hin zu Stress, Angst und Panik vor der Nahrung)
In manchen Fällen scheint das Essen/Trinken nur noch unter maximaler Ablenkung (z. B. während des Fernsehens) des Kindes möglich zu sein. Mitunter kommt es auch zu mehr oder weniger massivem Abwehrverhalten wie Abwenden, ausspucken oder sogar erbrechen der Nahrung. Auch hier kommt zu einer Wechselwirkung und der gegenseitigen Verstärkung von Unsicherheit, Druck und Angst der Bezugspersonen und des Kindes.
Es kann in schlimmeren Fällen zu Entwicklungsverzögerungen, Gedeihstörungen und/oder psychischen Problemen kommen.

Wichtigster Parameter bei der Diagnose einer Fütter-/Essverhaltensstörung ist der individuelle Leidensdruck der Familie oder einzelner Familienmitglieder.
 
Die Behandlung von Fütter- und Essverhaltensstörungen baut auf folgenden Eckpfeilern auf:
-          Stressabbau innerhalb der Familie
-          Abbau von Ängsten sowohl des Kindes als auch der Bezugspersonen
-          Lenkung und Berücksichtigung des Hungergefühls
-          Strukturierung des Alltags und der Umgebung
-          Nahrungsaufnahme schrittweise anpassen und regulieren
 
Es ist wichtig, dass betroffene Familien empathisch und professionell begleitet werden. Denn Fütter- und Essverhaltensstörungen, die nicht behandelt werden, verfestigen sich in 60-80% der Fälle. Durch eine temporäre Begleitung kann den Betroffenen ein längerer Leidensweg erspart werden und die Familie kann in einen unbelasteten Alltag finden.
 
Quellen:
Chatoor, I. (2016) Fütterstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern (2. Auflage) Stuttgart, Deutschland: Klett-Cotta.
Hofacker, N. (2013) Fütter- und Essstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter. (Abgerufen am 27.03.2021) Von https://www.santa-maria.de/media/files/blockcontent/2014-06/Artikel_Fuetter_Essstoerungen.pdf
Huber, M. (10.11.2017). Fütterstörungen – wenn Babys nicht essen wollen… (Abgerufen am 27.03.2021). Von https://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2017/oeaez-21-10112017/fuetterstoerungen-wenn-babys-nicht-essen-wollen.html
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